Statement Prof. Dr. Andreas Crusius

Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen und Präsident der ÄK Mecklenburg Vorpommern

(Es gilt das gesprochene Wort)

Meine Damen und Herren,

„Risikofaktor interdisziplinäre Kommunikation.“ So hat mein Vorredner den gerade geschilderten Fall überschrieben. Man hätte den Titel auch anders wählen können: „Risikofaktor Mensch“. Denn überall wo Menschen arbeiten – wo sie miteinander kommunizieren und interagieren – passieren Fehler. Nur sind die Auswirkungen in der Medizin mitunter besonders gravierend.

Der geschilderte Fall zeigt, welche Bedeutung guter Kommunikation in der Gesundheitsversorgung zukommt. Da ist zum einen die gute Kommunikation zwischen Ärzten und ihren Patienten. Sie kann Fehldiagnosen, mangelhafter Compliance und Missverständnissen hinsichtlich des Behandlungsziels vorbeugen. Beispielsweise sollte vor einem Eingriff detailliert geklärt werden, was die Patienten erwarten und was medizinisch machbar ist. Allein dadurch lassen sich mitunter spätere Behandlungsfehlervorwürfe aufgrund überzogener Erwartungen an den Behandlungserfolg vermeiden.

Von ebenso großer Bedeutung ist die gute Kommunikation zwischen den behandelnden Ärzten. Der medizinische Fortschritt bringt eine enorme Spezialisierung mit sich. Das führt zu einer immer größeren Arbeitsteilung in der gesundheitlichen Versorgung. Juristen sprechen von horizontaler und vertikaler Arbeitsteilung. Erstere regelt die Zusammenarbeit und Abstimmung gleichgeordneter Ärzte – letztere die Koordination der nachgeordneten ärztlichen und nichtärztlichen Dienste. Bei der horizontalen Arbeitsteilung kann falsch verstandene kollegiale Rücksichtnahme zu Missverständnissen und Kommunikationspannen führen. Bei der vertikalen Arbeitsteilung können die leider vielerorts immer noch ausgeprägten Hierarchien in den Kliniken verhindern, dass Fehler oder Beinahe-Fehler offen angesprochen werden.

Auch deshalb setzen wir uns seit Jahren für einen transparenten Umgang mit Fehlern und Beinahe-Fehlern ein. Verstehen Sie unsere alljährlichen Pressekonferenzen deshalb bitte auch als Transparenz-Initiative, mit der wir eine offene Fehlerkultur weiter befördern wollen.

Mit Transparenz allein ist es jedoch nicht getan. Wir haben es oft gesagt und wir bleiben dabei: Die über Jahrzehnte von der Politik geschaffenen ökonomischen Rahmenbedingungen sind nicht auf maximale Patientensicherheit ausgerichtet, sondern auf maximale Effizienz. Behandlungsdruck kann Behandlungsfehler begünstigen. Und trotzdem wurde in unserem Gesundheitswesen gespart bis es quietscht. Die Folge ist: Ärztinnen und Ärzte arbeiten in allen Versorgungsbereichen am Limit, und manchmal ein gutes Stück darüber hinaus.

Aus diesem Grund warne ich davor, Ärzte, denen etwas misslingt, vorschnell als Pfuscher zu diskreditieren. Pfusch beinhaltet immer eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Auswirkungen des eigenen Handelns. Das sollte man keinesfalls pauschal allen Ärzten vorwerfen, denen ein mutmaßlicher Fehler unterlaufen ist. Diese Sichtweise hat sich mittlerweile auch in den seriösenMedien durchgesetzt.

Dafür danke ich Ihnen ausdrücklich!

Und noch etwas sei an dieser Stelle erwähnt: Der Arztberuf ist ein äußerst gefahrengeneigter Beruf. Einhundertprozentige Sicherheit kann es nie geben. Eine Begründung hat vor einigen Jahren mein amerikanischer Kollege, David Eddy, formuliert: Zitat: „Ärzte irren, weil sie täglich Entscheidungen auf der Basis inadäquater Information treffen müssen.“

Und es stimmt ja auch:In unseren Rettungsstellen und auf den Stationen müssen Ärzte mitunter in Sekunden über möglicherweise lebensrettende Maßnahmen entscheiden – manchmal bei ihnen völlig unbekannten Patienten. Bemerkenswert ist, wie selten sie dabei irren.

Dies gilt umso mehr, als die schieren Behandlungszahlen in einer Gesellschaft des langen Lebens mit immer mehr multimorbiden Patienten seit Jahren nach oben gehen. Für das Statistikjahr 2017 meldet das Statistische Bundesamt 19,5 Millionen Behandlungsfälle in den Krankenhäusern. Hinzu kommen rund eine Milliarde Arztkontakte jährlich in den Praxen. Gemessen an dieser enormen Gesamtzahl der Behandlungsfälle liegt die Zahl der festgestellten Fehler Gott sei Dank auch in diesem Jahr wieder im Promillebereich. Das gilt nicht nur für unsere Zahlen, die Ihnen Herr Dohmgleich vorstellen wird. Das gilt auch für die von Seiten der Krankenkassen Jahr für Jahr ermittelten Daten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten durch einen Behandlungsfehler zu Schaden kommen, ist nach allen Daten, die uns zur Verfügung stehen, extrem gering.

Meine Damen und Herren,

damit Behandlungsfehler auch weiterhin die absolute Ausnahme bleiben und möglichst gar nicht vorkommen, setzen wir uns dafür ein, dass Ärztinnen und Ärzte aus Fehlern lernen.

Wir erfassen zu Fortbildungszwecken und zur Fehlerprävention die bei den Gütestellen der Ärztekammern registrierten Behandlungsfehlerdaten mit Hilfe unseres Medical Error Reporting Systems. Das heißt: Wir verwalten diese Daten nicht nur.

Wir machen sie zur Grundlage für einen effektiven Patientenschutz!

Das mache ich gerne an unserem Beispiel „Kommunikation“ konkret: Ein Blick in die Fortbildungsdatenbank der Bundesärztekammer zeigt: Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden mehr als 130 von den Ärztekammern zertifizierte Fortbildungsmaßnahmen zur besseren Kommunikation zwischen Ärzten sowiezwischen Ärzten und Patienten angeboten. Im Jahresverlauf werden es mehr als 1.000 sein.„Grundkurs Patientenzentrierte Kommunikation“, „Kommunikation mit dem unzufriedenen Patienten“, „Kommunikation in hierarchischen Systemen“ – so lauten nur einige Veranstaltungstitel.

Andere Fehlerpräventionsverfahren wie Qualitätszirkel, Peer-Reviews aber auch Konsile, Tumorkonferenzen oder Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen gehören ebenfalls zum ärztlichen Alltag. Daneben unterstützt das Ärztliche Zentrum für Qualität, eine gemeinsame Einrichtung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, mit gezielten Projekten die Qualitätssicherung der ärztlichen Berufsausübung. Schwerpunkte sind die Förderung der evidenzbasierten Medizin, die Erarbeitung von Versorgungsleitlinien sowie der Betrieb des nationalen Fehlerlernsystems CIRSmedical.de.

Meine Damen und Herren, trotz dieser Anstrengungen werden sich Fehler nicht gänzlich vermeiden lassen. Umso wichtiger ist es, dass Patienten nach einem vermuteten Behandlungsfehler nicht allein gelassen werden.

Und damit sind wir zum Abschluss wieder bei dem Thema „Kommunikation“.

Es ist hinlänglich bekannt, dass bei unerwünschten Ereignissen und Behandlungsfehlern eine gute Kommunikation und ein professioneller Umgang mit den Betroffenen von besonderer Bedeutung sind. Wir unterstützen Ärzte deshalb dabei, nach einem Fehler schnell das Gespräch mit den betroffenen Patienten zu suchen. Damit kann verhindert werden, dass zu den körperlichen Beeinträchtigungen auch noch psychische Traumata kommen.

Verantwortungsvoller Umgang mit einem vermuteten Behandlungsfehler bedeutet für uns auch, dass wir niedrigschwellige rechtliche Hilfestellung leisten. Denn natürlich sind Patientenbei der Aufklärung eines möglichen Behandlungsfehlers auf die ärztliche Expertise angewiesen.

Die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen sind bewährte Einrichtungen bei den Landesärztekammern, an die sich jeder Patient, der einen Behandlungsfehler vermutet, wenden kann. Es gibt wenige vergleichbare Einrichtungen, die den Patienten ein derartiges gebührenfreies Angebot der Begutachtung und Schlichtung unterbreiten.

Aber natürlich gibt es nichts, was man nicht noch besser machen könnte. Wie Sie wissen, weichen die Verfahrensweisen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen in unserem föderalen System von Land zu Land leicht voneinander ab. Das ändert nichts an der hohen Qualität ihrer Arbeit. Wir glauben aber, dass eine Harmonisierung der Verfahren die Akzeptanz der Stellen bei Patienten und Ärzten weiter steigern könnte.

Eine mit Vertretern aus allen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen besetzte Arbeitsgruppe hat deshalb Vorschläge zur Vereinheitlichung der Verfah­rensweisen ausgearbeitet. Der Vorstand der Bundesärztekammer hat nun einstimmig einer einheitlichen Rahmenverfahrensordnung für die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen zugestimmt. Und die Landesärztekammern sind gebeten, diese umzusetzen. Ich glaube, wir sind damit auf einem guten Weg, die außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland weiter voran zu bringen.

Meine Damen und Herren,

bevor wir über diese und weitere Themen ins Gespräch kommen, möchte ich nun Herrn Andreas Dohm bitten, uns die Zahlen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2018 vorzustellen.